Ramina

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Eine bunte Blumenwiese, weitab von Städten und Dörfern, ist das Zuhause der Blumenelfen.
Silvo der Blumenelf bewunderte und liebte Ramina, die Tochter des Elfenkönigs. Doch ihre Eltern wollten sie mit Azur Ammad aus dem fernen Orient verheiraten.

Alle Elfen auf der Bergwiese waren zu einem großen, turbulenten Wiesenblumen- und Elfenfest geladen. Der Elfenkönig war aus seiner Königsakelei, er wohnte dort an einem stillen, romantischen Bergsee, eingetroffen.

NUN herrschte reges arbeiten und singen. Alle Blumen wurden auf Hochglanz poliert. Die Leuchtkäfer putzten ihre Lampen. Die Grillen und Heuschrecken stimmten ihre Instrumente, die Frösche übten für das Konzert. Die Vögel suchten ihre Noten. Die Hirschkäfer sammelten fleißig die Früchte vom Schöllkraut, als Knallfroschmitternachtseinlage.

Abends, als der Vollmond hoch am Himmel thronte, begann das bunte Treiben. Die Glockenblumen läuteten das Fest ein. Grünino, der lange, dünne Heuschreck, hob den Taktstock und dann erklang die Musik. Auf der langen Tafel, geschmückt mit grünen Blättern und bunten Blumenkelchen, waren Schüsselchen mit süßen Bienenhonig, Nektarwein, Holundersekt, Löwenzahnhonig, junger Brennnesselsalat, Erdbeer- und Kirschenmarmelade. Die Waldelfen hatten winzige Kuchen und Brot gebacken. Die Gäste nahmen Platz.
Es waren Elfenfürsten aus dem ganzen Land angereist.

Einer erregte besonderes Aufsehen: Prinz Azur Ammad aus dem heißen Orient. Er wohnte in einer zauberhaften Oase. Seine weiße Elfenkutsche wurde von zwei buntschillernden Kolibris gezogen. Prinz Azur Ammad war ein bildschöner Mann, nur ein paar schwarze Kringellocken lugten unter dem kunstvollen Turban hervor. Sein Gewand war aus den bunten Fasern der Orchidee gewebt. Seine Füße steckten in goldenen Pantoffeln. Der Blumenelfenkönig hatte diesen fremdländischen Prinzen zum Gemahl seiner Tochter Ramina auserkoren.

Doch die Elfenkönigstochter war noch immer nicht aufgetaucht. Alle Gäste hatten schon ihre Plätze an der prächtigen Tafel eingenommen und warteten gespannt auf das Elfenmädchen.
Endlich erschien sie, gefolgt von ihren zahlreichen Freundinnen. Raminas Kleid war aus den Blüten des Vergissmeinnichts geschneidert, in ihren weißblonden Locken steckte eine rote Lichtnelke. Wunderschön war das Elfenmädchen anzusehen. Silvo, der junge Blumenelf, sorgte für die Gäste, doch jetzt stocke sein Schritt und wie angewurzelt blickte er verzückt Ramina an. Diese schritt lächelnd zu ihren Eltern und nickte Silvo aufmunternd zu. Der Elfenkönig betrachtete mit Wohlgefallen sein liebreizendes Kind.

Die Gedanken des Königs wanderten einen Augenblick an vergangene Tage: wie war das damals mit der Ameisenkönigin. Und schmunzelnd erinnerte er sich an folgende, lustige Geschichte:

Eines Nachts flog Ramina mit ihren Freunden und den Leuchtkäfern zur Ameisenstraße. Dort befestigten sie ein Holzschild, auf dem stand mit Blumenkreide geschrieben folgendes zu lesen:
Ab sofort wird der alte Ameisenbau geschlossen. Mit dem Bau des neuen im Buchenwald, muss unverzüglich begonnen werden.
Eure Ameisenkönigin!

Frühmorgens versammelten sich die Ameisenarbeiterinnen vor dem Schild. Diejenigen, die in der Ameisenschule gut aufgepasst hatten, konnten die Schrift entziffern. Unverzüglich packten sie ihre Holzstücke, Blüten und Erdkügelchen und begann im Buchenwald mit dem neuen Ameisenbau. Doch oh Schreck, hier stand schon einer. Der Kommandant der Ameisenarmee trat ihnen grimmig in den Weg und schrie: „Verschwindet, dies ist unser Revier. Aber dalli!“

Niedergeschlagen trotteten die Arbeiterrinnen nach Hause. Dort erwartete sie schon eine tobende Königin: Die Ameisenkinder hatten Hunger und sollten schon längst an die Sonne getragen werden. Was war heute los?

Die Ameisenkönigin beschwerte sich bitter beim Elfenkönig, als sie erfuhr, wer diesen üblen Scherz ausgeheckt hatte.

Ramina tat die ganze Geschichte furchtbar leid. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ihr simpler Scherz solche Folgen hatte. Zerknirscht entschuldigte sie sich bei dem Ameisenvolk. Die Königin lächelte milde und sagte: „Ich verzeih dir, doch ich möchte dich bitten, dass du und deine Freunde einen Tag lang für uns arbeiten.“

Und so kam es auch, schon zeitig in der Früh marschierte das Elfenmädchen mit ihren Gespielinnen und den Leuchtkäfern zum Ameisenbau und dann begann die Schlepperei. Den ganzen lieben Tag, winzige Holzteile, Blätter, Erdkrümmelchen und schwere tote Käfer oder Regenwürmer sammeln und zum Ameisenbau tragen, diesen reparieren und ausbauen. Die Ameisenarbeiterinnen genossen die freie Zeit, lagen in der Sonne, kicherten, tuschelten und unterhielten sich prächtig.
Abends fielen Ramina und ihre Freunde todmüde in ihre Betten. Für eine Weile hatten sie keine Lust mehr für derartige Streiche.

Der Elfenkönig erschrak und kehrte in die Gegenwart zurück, seine süße Tochter war nun erwachsen und somit im heiratsfähigen Alter. Sein Blick wanderte zu Prinz Azur Ammand aus dem heißen Orient. War er der richtige Mann für seine Tochter?

Nun winkte er dem fremden Gast und gebot, neben ihm Platz zu nehmen. Der orientalische Prinz küsste Ramina galant die Hand, setzte sich und begann zu erzählen: „Schön ist es in eurem Land, doch bei mir zu Hause ist alles ganz anders. Meine Familie und ich wohnen in einem Palast aus Mamor, verziert mit Gold und Edelsteinen. Meine Kolibris wurden aus Südamerika eingeflogen und wohnen im prächtigen Käfig. Meine Kutsche ist aus purem Elfenbein. Mein Volk wohnt in den Blumen und Palmen der Oase. Bei Festen kommen Elfenchöre aus allen Teilen meines riesigen Reiches und singen exzellente Lieder. Das niedere Volk darf nur dienen und sich nicht dem Palast nähern. Mein Vater, der König spricht mit seinen Untertanen nur zu festgelegten Zeiten. Wenn mein Vater und ich ausreiten, dann werden Straßen von unseren Dienern freigehalten. Jedes Kind weiß, dass es dem König bedingungslos gehorchen muss.“

Auf der Bergwiese war es ganz still geworden, alle hörten Azur Ammad andächtig zu. Zum Schluss sagte Raminas Vater bedächtig: „Fremde Länder, fremde Sitten. Ich finde deine Heimat fantastisch!“ Nun hatten die Kobolde ihren Auftritt und zeigten allerlei Zauberkunststücke.

Silvo fiel auf, dass Ramina fehlte. Flugs flog er zu seiner Glockenblume und dort saß das Elfenmädchen und schaukelte. „Na du bist mir eine Gastgeberin“, rügte sie der Elf, „lässt einfach die Gäste sitzen und betrittst mein Haus.“ „ Och“, seufzte Ramina, „dir gehört dies schöne Heim, so hell ist es hier und viele Zimmer hat es.“ „Sogar mit Bad und Dusche“, lachte Silvo. „In einer der Blumenglocken sammelt sich Tau und dann kann ich mich baden oder duschen.“

Der Elf zeigte ihr alle Zimmer: „Hier ist die Küche. Frühmorgens bringt mir die Biene Elvira frischen Honig und die Zauberfee Laria versorgt mich mit Kuchen und Brötchen.“ Im Schlafzimmer stand ein winziges Himmelbett mit weißen Vorhängen. „Und das ist mein Balkon“, in der obersten Blüte der Glockenblume hatte man einen herrlichen Ausblick über die Bergwiese. Ramina konnte sich nicht genug satt sehen und sie seufzte ganz traurig: „Wunderschön, ja ganz herrlich ist es bei dir, kein Gold und Edelsteine, wegen dir muss kein Elefant sterben, damit man seine Vorderzähne bekommt. Kein Kolibri, der im goldenen Käfig schmachtet und sich vergeblich nach Freiheit sehnt. Ich kann und will diesen fremden Prinzen nicht heiraten!“
„Wir kannst du nur so etwas sagen“, schimpfte der Blumenelf, „du kennst Azur, sein Volk und auch sein Land nicht. Dein Vater liebt dich und meint dort wird es dir gut ergehen. Du darfst ihn nicht enttäuschen. Lerne sein Land und die Menschen kennen und triff dann deine Entscheidung.“
„Du schickst mich weg“, rief Ramina entsetzt, „ fort mit einem Fremden in ein fernes unbekanntes Land und ich Narr dachte, du liebst mich. Immer warst du für mich da, warst mein Freund, Begleiter, hast mich niemals in Stich gelassen und nun diese Worte, kein Bitten: bleibe doch bei mir!“ Ramina stampfte zornig mit den Füßen.
„Ich lasse dich nicht in Stich“, beschwichtigte sie der Elf, “ ich begleite dich und wir sehen uns alles gemeinsam an. Vielleicht ist es gerade deine Haltung, dein Vorbild und dein Wesen und du kannst damit viel im fremden Land bewirken. Wenn du es nicht wagst, selbst deine Entscheidung zu treffen und dich auf mich verlässt, wirst du es mir später vorwerfen und dies würde unser Zusammenleben stören.“

„Ich unbedeutende Elfe, was soll ich in diesem fremden Land bewirken?“ Silvo sah sie liebevoll an: „ Du bist das bezaubenste und schönste Elfenmädchen das mir jemals begegnet ist, du schaffst es trotz deiner Jugend die Geschicke unseres Volkes zu leiten. Strahlst Ruhe, Sicherheit und Frieden aus. Dein Volk spürt dies und vertraut dir. Dein Vater der Elfenkönig ist so selten hier, unter deiner Führung geht es uns allen gut. Ich werde ohne dich nie mehr glücklich werden, aber es zählt dein Glück und nicht meines, “
Silvo verbeugte sich und flog davon. Ramina weinte bitterlich und voll Zorn war ihr Herz, doch je länger sie hier in dieser Blume saß und nachdachte, merkte sie wie recht Silvo hatte. Sie musste die Entscheidung treffen, ob sie bleiben oder die Herausforderung annehmen wollte. Sich nach neuen Zielen strecken und ihr Herz befragen. Silvo würde sie verstehen, wohin auch immer sie letztendlich ihre Weg führen würde. Langsam wischte sie die Tränen fort, strich ihr Kleid glatt und eilte zu den Gästen zurück.

Bild u. Text: Heidemarie Rottermanner

Über Heidemarie

verheiratet, zwei Söhne. Lebt in Niederösterreich in traumhafter Lage.

02. September 2015 von Heidemarie
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